- Jasmin Véron
Stress beim Hund
In diesem Blog möchte ich allen wissbegierigen Hundehaltern Hundeverhalten näher bringen und erklären, wie Hunde sind und wie sie ticken.
Damit du deinen Liebling besser verstehen kannst.
Seit 2013 beschäftige ich mich intensiv mit Hundeverhalten. Ich habe ein Jahr Biologie studiert, verschiedene Ausbildungen im Bereich Tierpsychologie, Hundeverhalten und -ernährung absolviert und unzählige Fachliteratur der Tiermedizin und Verhaltensbiologie gelesen und gelernt. Dieses Wissen möchte ich mit dir teilen.

Stress ist etwas ganz alltägliches, ohne Stress könnte das Gehirn nicht mal funktionieren.
Und doch ist er ein sehr häufiger Grund für unerwünschtes Verhalten und Probleme im Umgang mit Hunden.
In diesem Beitrag möchte ich euch erklären, wie Stress entsteht, welche Auswirkungen er hat und wie du ihn in der Körpersprache deines Hundes erkennst.
Was ist Stress?
Stress ist die natürliche Reaktion des Körpers auf Ereignisse aus der Umwelt.
Im Körper werden die Hormone Adrenalin, Noradrenalin und Cortisol ausgeschüttet, diese erhöhen die Leistungsfähigkeit des Körpers und liefern die nötige Energie für zum Beispiel einen Kampf oder eine Flucht.
Stresshormone liefern aber auch die Energie für die Nahrungssuche oder zur Fortpflanzung. Stress ist also überlebenswichtig.
Geringer Stress (Erkundungsverhalten, Neugierde) ist sogar nötig für die normale Funktion des Gehirns und ermöglicht Lernen überhaupt erst (man sagt auch positiver Stress oder Eustress dazu).
Ab einer zu hohen Dosis an Stresshormonen bzw. Neurotransmittern, schaltet das Gehirn vom „denkenden Modus“ in den „reaktiven Modus“ um.
Der Hund verhält sich sehr reaktiv, er kann nun auch kaum Kommandos mehr durchführen. Man nennt das auch negativer Stress oder Distress.
Negativer Stress kann zum Beispiel durch unangenehme Emotionen wie Angst, Wut und Trennungsschmerz ausgelöst werden.
Oder er entsteht durch Über- oder Unterforderung.
Positiver Stress, wie Spiel oder für einen Arbeitshund die zu verrichtende Arbeit (z.B. Suchaufgabe), kann bei zu starker Erregung in negativen Stress kippen.
Jemand, der einen Beruf hat, den er sehr gerne betreibt, kennt das.
Man möchte den ganzen Tag arbeiten, doch irgendwann wird einem auch das Schönste zu viel und man kippt in einen negativen Stress.
Erschöpfung ist negativer Stress.
Chronischer Stress (durch zu wenige Ruhephasen, zu hektischer Alltag, zu viel Beschäftigung, Schmerzen etc.) führt zu gesundheitlichen Schäden, fördert Entzündungsprozesse und schwächt das Immunsystem.
Allergien, chronische Entzündungen (Ohren), Hautirritationen (Juckreiz) und Ähnliches sind die Folge.
Chronischer Stress kann außerdem Angststörungen und aggressives Verhalten begünstigen.
Er mindert in jedem Fall die Lebenserwartung.
Jeder Hund sollte mindestens 17 Stunden täglich ruhen, um sich ausreichend erholen zu können.
Der Punkt, an dem positiver Stress in negativen Stress kippt, ist oftmals schwierig zu erkennen.

Ballspielen und Wasser ist für die meisten Hunde extrem aufregend.
Der Hund kippt häufig in negativen Stress (Balljunkie) und unerwünschtes Verhalten wie andere bewegte Objekte hetzen oder Ressourcenverteidigung wird wahrscheinlich.

Spiel unter Hunden kann schnell in negativen Stress kippen. Vor allem, wenn die Hunde vom Spieltyp nicht zusammen passen, das Spiel zu lange dauert oder wenn ein Hund gemobbt wird (mehrere Hunde suchen sich ein Opfer aus).
Stressauslöser
Die Auslöser von negativem Stress können ganz verschieden sein.
Jeder Hund hat seine eigene Persönlichkeit und reagiert auf verschiedene Umweltreize anders.
Was den einen Hund gar nicht interessiert, kann für den anderen Hund ein Weltuntergang sein.
Erfahrungen, Gene und die Welpen- und Jugendentwicklung spielen eine sehr große Rolle in der Stressanfälligkeit.
Waren die ersten Lebensmonate im Leben des Hundes hektisch oder unsicher, wird der Welpe und erwachsene Hund sein ganzes Leben sensibel und stressanfällig bleiben.
Im Gehirn befindet sich ein Reizfilter, der bedeutungslose Informationen (Junks) wegfiltert, sodass sie gar nicht ins Bewusstsein gelangen.
Je nach dem, wo du wohnst, nimmst du Vogelgezwitscher, Kuhglocken, Autos oder andere Geräusche nicht mehr so bewusst wahr.
Dein Gehirn filtert diese Reize weg.
Bei manchen Hunden funktioniert dieser Reizfilter nicht so gut.
Alle Reize prasseln ungefiltert auf das Tier ein und können schnell zu Überforderung und Stress führen. Diese Eigenschaft lässt sich nicht weg trainieren.
Manche Rassen (Hüte- und manche Jagdhunde) wurden gezielt auf diese Reizempfindlichkeit gezüchtet.
Sie sollen bei der zu verrichtenden Arbeit alle Reize (Kommandos des Menschen, Verhalten der Schafe oder Wildtiere) genau im Auge behalten, wahrnehmen und darauf reagieren.
Diese Rassen sind deshalb deutlich stressanfälliger als andere.
Wie immer gibt es aber auch Ausnahmen.
Hier habe ich einige mögliche Stressauslöser aufgelistet:
Frust (der Hund bekommt nicht, was er möchte)
Angst (Schreckreize, laute Geräusche)
Zu langes und hektisches Spiel (mit einem Spielzeug oder anderen Hunden)
Fremde und unbekannte Menschen oder Gegenstände (charakterabhängig)
Umziehen, Reisen, Besitzerwechsel etc.
Reize, die von oben kommen (kleine Hunde entwickeln deshalb oft Ängste)
Unklare, missverständliche Kommunikation
Reizüberflutung durch den Besitzers (zu viele Handzeichen, zu viele unklare Wortsignale, unruhige Körperhaltung)
Zu schwierige Übungen oder Aufgaben
Zu lange Trainingseinheiten
Zu viele Reize auf einmal (Reizüberflutung, charakterabhängig)
Hormonumstellungen (Pubertät, Läufigkeit)
Schmerzen
Hitze und Kälte
Überschreitung der Anpassungsfähigkeit (manche Hunde können sich an Vieles gewöhnen, andere tun sich mit bestimmten Situationen ihr ganzes Leben lang schwer)
Meistens ist es die Dauer der aufregenden Situation, die zu negativem Stress führt. Je länger der unangenehme Reiz anhält, desto stressiger wird es für den Hund.
Stress ist kein Weltuntergang und führt auh nicht sofort zu Problemen. Aber nach einer stressigen Situation sollte der Hund unbedingt die Möglichkeit bekommen, sich zu erholen - mit hundetypischem Verhalten (Schnüffelspaziergang) und Schlaf.

Ein Stadtausflug ist für manche Hunde purer Stress, für andere ein Abenteuerspaziergang.
Stressauslöser Frust
Das Thema Frust ist etwas spezieller. Vor allem bei jungen Rüden führt Frust zu unerwünschtem Verhalten und Stress.
Wir wollen einen Hund mit guten Manieren, der jede Menge Regeln einhalten soll.
Dass all diese Regeln aber bei Hunden Frust auslösen und junge Individuen schlecht mit Frust umgehen können, wird oft vergessen.
Viele Hundehalter wünschen sich, dass ihr Hund perfekt neben ihnen her läuft und weder nach vorne zieht, noch irgendwo zurück bleibt.
In der Umwelt gibt es so viele spannende Sachen zu entdecken, dort überall nicht hin zu dürfen, ist extrem frustrierend für die meisten Hunde.
Genau dieser Frust führt dazu, dass manche Hunde ihr Leben lang gestresst sind, wenn sie an der Leine sind und es fast nicht mehr schaffen, locker und entspannt mitzulaufen.
Neugierde und Erkundungsverhalten sind ein Zeichen von Intelligenz und wichtig für die gesunde Funktion des Gehirns und die Stresstoleranz.
Außerdem soll dein Hund ja auch Hund sein dürfen.
Er darf hin und wieder vor dir laufen oder stehen bleiben, um zu schnüffeln,
das heißt nicht, dass er der Chef ist und dich kontrolliert.
Der Spaziergang ist schließlich deinem Hund gewidmet.
Natürlich muss ein Hund gewissen Frust aushalten, er kann nicht immer alles haben, was er gerade will.
Junge Hunde aber müssen das Schritt für Schritt lernen.
Wir erwarten oft zu schnell zu viel.
Je nach Charakter und Geschlecht ist das für jeden Hund unterschiedlich schwierig.
Vor allem bei der Leinenführigkeit und Hundebegegnungen wird Frusttoleranz gefordert.
Oft wird gesagt, "Das muss er aushalten, ich bekomme auch nicht alles".
Dein Hund lernt aber nicht Frust auszuhalten, indem man ihn ohne Hilfe in eine stressende und frustrierende Situation packt und erwartet, dass der Hund jetzt selber eine Lösung daraus findet.
Das verschlimmert die Situation und bricht das Vertrauen zu dir.
Hilf deinem Hund, wenn es ihm schlecht geht und fordere nicht zu viel Frusttoleranz auf einmal!
Du solltest durch entsprechende Übungen die Impulskontrolle und Frustrationstoleranz in verschiedenen Situationen trainieren (Warten am Futter oder Spielzeug, an anderen Hunden vorbeilaufen etc.).
Denke immer daran, deinen Hund passend zu belohnen, wenn er eine frustrierende Situation gemeistert hat!
Aus Frust entsteht häufig Aggression und andere unerwünschte Verhaltensweisen.

Ein frustrierter Leinenpöbler am Halsband hat zusätzlich Schmerzen.
Schmerzen verschlimmern Stress.
Stresssymptome
Leichte Aufregung erkennt man an einem erhobenen Kopf, aufgerichteter (manchmal wedelnder) Rute, manchmal aufgestellter Rückenhaare und generell angespannter Körperhaltung. Je höher die Aufregung wird, desto mehr Stresssymptome kann man erkennen.
Symptome von Stress:
Angespanntes Hecheln (mit sichtbarer Stressfalte)
Langgezogene, angespannte Mundwinkel
Das Weiße im Auge ist sichtbar
Stressfalte (zwischen Augen und Lefzen)
Angespanntes und häufiges Gähnen
Ohren sind nach hinten gezogen
Häufiges Kratzen
Hektisches Bellen
Häufiges sich Schütteln
In die Leine, Hände oder Kleidung beißen
Buddeln oder Stöckchen kauen (um sich abzureagieren)
Fiepen und Winseln
Der Hund möchte keine Leckerlis mehr
Gras fressen (kann auch andere Gründe haben)
Übersprungshandlungen (z.B. über den Boden robben, Rammeln oder andere unpassende Verhaltensweisen)
Unerwünschte Verhaltensweisen (unaufhörliches Bellen, an der Leine ziehen, „unaufmerksam sein“, Schnappen,...)
Bei länger anhaltendem Stress beginnt sich im Maul ein weißer, dickflüssiger Schleim zu bilden, der sich in den Mundwinkeln absetzt. Er besteht aus Enzymen im Speichel, die durch den Stress abgebaut werden.
Nicht jeder Hund zeigt alle Stresssymptome, manche Hunde hecheln zum Beispiel nur sehr stark, zeigen aber sonst keine Anzeichen.
Es ist also sinnvoll deinen Hund in einer entspannten Situation (zuhause im Kuschelbettchen) genau anzusehen oder zu filmen, damit du weißt, wie dein Hund entspannt aussieht.
Wenn du den entspannten Zustand deines Hundes kennst, erkennst du Stress auch viel leichter.
Je stärker der Stress ist, desto mehr und intensiver zeigt der Hund die Symptome.

Im Maul kann man erkennen, wie sich weißer Schleim bildet.

Tonkas erster Besuch in der Tierarztpraxis. Sie zeigt weniger deutliche Stresszeichen wie der Schäferhund im oberen Bild.
Die Ohren sind zurück gezogen, die Augenbrauen hoch gezogen, die Augen weit offen.

Hier ist Tonka entspannter. Die Ohren sind neutral, die Augen nicht aufgerissen, Die Haut um die Nase ist locker.
Es ist wichtig, den entspannten Zustand seines Hundes zu kennen.

Bei Langhaarhunden ist es schwieriger, die Körpersprache zu lesen. Denn man sieht die Haut und die Muskelanspannung im Gesicht nicht, auch die Stellung der Ohren ist schwieriger zu erkennen.
Hier kann man sich aber an deutlichen Stresszeichen wie dem Stressgähnen orientieren. Die Zunge liegt angespannt und faltig im Maul, daran lässt sich die Anspannung erkennen.
Wenn dein Hund sich im Bettchen streckt und gähnt, ist das kein Stressgähnen, da ist die Zunge entspannt.
In der Situation auf dem Bild besteht kein Handlungsbedarf. Lucy wartet darauf, dass die Wanderung losgeht und ist ungeduldig.
Linderung von Stress
Folgendes wirkt entspannend für den Hund:
Körperkontakt und Streicheln: Das Bindungshormon Oxytocin bindet sich im Körper an die gleichen Rezeptoren wie das Stresshormon Cortisol. So kann es die Wirkung von Cortisol abschwächen und verhindern. Oxytocin ist der beste Gegenspieler der Stresshormone. Ein Welpe, der viel Körperkontakt (am besten 2/3 des gesamten Tages) mit anderen Hunden oder dem Menschen halten konnte, bildet mehr Rezeptoren für Oxytocin, was ihn im späteren Leben stressresistenter macht. Das Wichtigste in der Mensch-Hund-Beziehung ist deshalb eine gute, liebevolle Bindung und vieeel Oxytocin.
Schnüffeln: ist der Sinn eines Hundelebens. Außerdem aktiviert es den Parasympathikus, das ist der Teil im Nervensystem, der unter anderem für Entspannung zuständig ist. Man kann den Hund einfach am Boden schnüffeln lassen oder ihm gezielt Leckerlis verstreuen. Regelmäßige Nasenarbeit (Spielzeug suchen, Leckerlis suchen, entsprechende Auslastung wie Mantrailing oder andere Beschäftigungen mit der Nase) wirken sich positiv auf das gesamte Gemüt des Hundes aus. Er wird so generell entspannter und ruhiger.
Kauen: Der Parasympatikus, von dem ich vorher schon geschrieben habe, ist auch für die Verdauung zuständig. Kauen aktiviert den Verdauungstrakt, somit wird auch der Parasympatikus aktiviert und das wirkt entspannend. Hunde wissen oft instinktiv, wie sie sich abreagieren oder beruhigen können. Sie beginnen in Stresssituationen auf Gegenständen zu kauen, wie zum Beispiel auf einem Stöckchen, Gras oder der Leine. Leider machen Hunde oft keinen Unterschied zwischen ihrem Spielzeug und der Wohnungseinrichtung.
Schlecken: Schlecken und Saugen aktiviert ähnlich wie Kauen den Parasympatikus und wirkt entspannend. Deshalb lässt sich die Leberwursttube oder Ähnliches super für hibbelige Hunde als Belohnung einsetzen.
Die Geschlechtshormone, egal ob Testosteron oder Östrogen, wirken stressreduzierend. Steigen die Stresshormone zu stark an, greifen diese ein und wirken dagegen. Fehlen die Geschlechtshormone (Kastration), fehlt den Stresshormonen der natürliche Stopper. Ein kastrierter Hund kann Stress schlechter verarbeiten als ein intakter Hund.
Wenn du bemerkst, dass dein Hund vermehrt gestresst ist, solltest du darauf reagieren. Vor allem, wenn du etwas mit deinem Hund übst oder in einer neuen, fremden Situation bist, ist es wichtig auf Stress zu achten.
Leckerlis verstreuen und suchen lassen kann man immer und es hat eine sehr stark beruhigende Wirkung auf deinen Hund.
Manche Hunde lassen sich auch sehr gut durch körperliche Nähe entspannen.
Körperkontakt sollte jedoch niemals aufgezwungen werden.
Stress ist ein sehr komplexes Thema. Man könnte ein ganzes Buch darüber schreiben.
Ich habe versucht, die wichtigsten Informationen für dich zusammen zu fassen.
Damit du deinen Vierbeiner besser verstehen kannst.
Wenn dein Hund auf Durchzug gestellt hat und dich einfach nicht hört, denke daran, dass Stress die Ursache sein könnte.
Beobachte die Körpersprache deines Hundes und die Umwelt, was mögliche Stressauslöser für deinen Hund sein könnten.
Negativer Stress blockiert außerdem Lernen. Das habe ich im Beitrag Wie funktioniert Lernen bereits beschrieben.
Ich freu mich, wenn dir der Beitrag gefallen hat und du etwas lernen konntest.
Viel Spaß mit deinem Lieblingshund!

Meine Lieblinge Lucy, Tonka und Momo.